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Das ZDF berichtete kürzlich: “Ein neues Gesetz soll pflegende Angehörige finanziell entlasten“. Bundesweit wurde mit diesem erfreulich klingenden Aufhänger zur besten Sendezeit über das Angehörigen-Entlastungsgesetz informiert.
Der fatale Fehler: Nicht Pflegende Angehörige werden durch die Segnungen entlastet, sondern gerade diejenigen, die diese Aufgaben nicht oder nicht mehr ausüben.

 

Bitte nicht falsch verstehen. Es ist toll, dass die Sorgenden Angehörigen endlich hiermit entlastet werden. Es ist aber nicht zu akzeptieren, dass suggeriert wird, dass die Pflegenden Angehörigen die Nutznießer dieser Maßnahme sind.

Hier bleibt Handlungsbedarf!!! 

Der Begriff „Pflegende Angehörige“ etablierte sich seit Einführung der Pflegeversicherung 1995. Er ist heute unpräzise geworden.

Und, er differenziert nicht.

Die große ZQP-Zahl von über 4,6 Mio. Pflegenden Angehörigen liest sich beeindruckend – führt aber gleichzeitig dazu, dass die individuellen Bedürfnisse dieser sehr heterogenen Gruppe nicht mehr wirklich erkannt werden (können).

Die Pflegewissenschaft möchte dem Begriff „Pflege“ gerne, und möglicherweise auch berechtigt, einen allumfassenden Anspruch geben. In der Praxis und im Bewusstsein der Bevölkerung und bei vielen Politikern sind hier aber eher die drei klassischen Säulen der Grundpflege damit fest verankert:

1. Körperpflege
2. Ernährung
3. Mobilität

Bis zum 31.12.2016 dienten 21 Jahre lang diese zeitlich gemessenen Leistungen der Grundpflege zur Klassifizierung der Pflegestufen.

Paradigmenwechsel ohne Wirkung

Zum 1.1.2017 vollzog sich mit dem Neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff ein Paradigmenwechsel, der an der Wahrnehmung der Angehörigen-Arbeit weitestgehend spurlos vorbei ging.

Mehr und mehr kognitive Problemfälle werden vom MDK eingestuft.

Im formellen Sektor wurde dies u.a. mit den neuen Betreuungsdiensten im Rahmen der Sachleistung nach § 36 SGB XI berücksichtigt.

Viele der heute ca. 4 Mio. als pflegebedürftig eingestuften Menschen benötigen keine oder nur geringe Hilfen bei der Grundpflege. Hier sind überwiegend die wichtigen sorgenden Tätigkeiten der Organisation und Begleitung gefragt.

Viele Angehörige wollen sich (noch) nicht als „Pflegende Angehörige“ betiteln lassen. Ihre Motivation ist vielmehr, den tatsächlichen Pflegeprozess so weit wie möglich zu vermeiden. Präventive Strategien und Konzepte stehen auf ihrer Bedarfsliste oben.

Sie können sich mit dem Begriff Sorgende Angehörige viel besser identifizieren und spezifische Beratungsangebote leichter akzeptieren.

 

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„Pflegende Angehörige pflegen 3,8 Stunden in der Woche“ sagte jüngst eine Studie des Instituts der Wirtschaft aus Köln.

Die Leser interpretieren: „easy Job“, den viele Angehörige doch eigentlich so ganz nebenbei ausführen sollten.
Das Problem hier: Das 10 minütliche Kümmern der Enkelkinder und entfernte An- und Zugehörige am Wochenende wird in den selben Begriffs-Topf geworfen, wie die vielleicht 60 Stunden Stunden Sorge- und Pflegearbeit tatsächlicher Pflegender Angehöriger. Das Ergebnis: ein absolut unrealistischer und nichts aussagender Durchschnittswert, der nur Missverständnis sät.

„Warum niedrige Stundenzahlen?“ fragt die Ärztezeitung.

Die Antwort von Studienleiter Maximilian Stockhausen:

„Dass es sich insgesamt um durchschnittlich recht wenige Pflegestunden handelt, liege daran, dass auch viele leichtere Fälle in die Statistik eingegangen seien“

Quelle: https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/pflege/article/996330/sozio-oekonomisches-panel-typische-pflegende-angehoerige-weiblich-alt-arm.html